Lilli Gräber

Noch im Ersten Weltkrieg wird Lilli Gräber am 10. April 1918 in Buchholz, einer kleinen Gemeinde im Kreis Grimmen (preußische Provinz Pommern) geboren.1 Ein Vierteljahr zuvor, am 17. Dezember 1917, hatten die Eltern – der aus Neckarhausen bei Mannheim gebürtige Schlosser und damals bei der Marine dienende Georg Gräber (1892-1960) und die aus Pommern stammende Hedwig Hübner (1895-1946) – im benachbarten Franzburg geheiratet (17.12.1917).2

Nach dem Krieg zieht die Familie in die damals noch selbstständige Gemeinde Friedrichsfeld, die erst 1930 zu Mannheim eingemeindet wird. Der Vater gehört 1924-1930 für seine Partei, die SPD, dem Friedrichfelder Gemeinderat an und rückt nach der Eingemeindung bis 1933 in den Mannheimer Stadtrat ein. Unter dem NS-Regime mehrfach inhaftiert, gehört Georg Gräber 1945 zu den „Männern der ersten Stunde“ in der wiedergegründeten SPD in Mannheim, für die er erneut 1946-1953 in den Gemeinderat einzieht.3

Lilli Gräber besucht in Friedrichsfeld die Volksschule. Seit 1928 gehört sie der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) an bis zu deren Auflösung durch die Nationalsozialisten 1933.4 Für die Tochter eines politisch vom NS-Regime Verfolgten kommt der Besuch einer höheren Schule und ein Studium nach 1933 nicht in Betracht.5 Im November 1934 beginnt sie daher eine Lehre beim Kaufhaus Karl Herzberg am Mannheimer Alten Messplatz,6 die sie nach rund zweieinhalb Jahren wegen guter Leistungen vorzeitig im Sommer 1937 mit der Kaufmannsgehilfenprüfung abschließen kann.7

Nach Berufstätigkeit als Verkäuferin bei verschiedenen Mannheimer Firmen8 wechselt Lilli Gräber im Februar 1940 als Sachbearbeiterin zur „Berufskrankenkasse der Kaufmannsgehilfen und weiblichen Angestellten“, aus der nach 1945 die Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK) hervorgeht. Während der Kriegszeit kommt sie neben Mannheim in Saarbrücken, Karlsruhe, Dortmund und Hamburg zum Einsatz.9 Im Sommer 1944 kehrt sie nach Mannheim zurück,10 wo sie bis zum Ruhestand 1972 bei der DAK beschäftigt bleibt.11

Der SPD tritt Lilli Gräber bereits am 9. Oktober 1945 bei,12 wo sie zur Vorsitzenden der Mannheimer Jungsozialisten gewählt wird und in dieser Funktion den „Ring Politischer Jugend“ mit gründet.13 Gewerkschaftlich engagiert sie sich bei der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG), der sie seit 1. Juli 1948 angehört.14 Außerdem ist Lilli Gräber Mitglied bei der Arbeiterwohlfahrt (seit 1.10.1946) und bei den Naturfreunden (seit 1.1.1954).15

Lilli Gräber, die ihren Vater in den Jahren 1946-1953 bei seiner Stadtratsarbeit unterstützt,16 kandidiert 1956 erstmals auf der Wahlliste der SPD für den Mannheimer Gemeinderat, verfehlt aber um wenige Stimmen den Einzug in das Kommunalparlament. 1958 wird sie Mitglied des neugebildeten Bezirksbeirats für Friedrichsfeld, ein Amt, das sie bis zu ihrer Wahl in den Gemeinderat 1962 ausübt. Auch als Stadträtin liegen ihr besonders die Belange ihres Wohnorts Friedrichsfeld am Herzen. Aber auch allgemeinen sozialen Aufgaben stellt sich die Kommunalpolitikerin,17 u.a. durch die Mitarbeit im Sozialausschuss des Gemeinderats und die gemeinderätliche Pflegschaft für das Städtische Krankenhaus. Wichtig ist ihr auch der Kleingarten- und Grünflächenausschuss, zumal sie Ende der 1960er Jahre zu den Gründern der aus Mitgliedern des Friedrichsfelder Obst und Gartenbauvereins gebildeten Obstbaugenossenschaft gehört.18 1989 tritt Lilli Gräber altersbedingt nicht mehr bei der Gemeinderatswahl an.

Im Dezember 1963 wird Lilli Gräber zur Vorsitzenden der Freireligiösen Gemeinde Mannheim gewählt. Zu ihren Aufgaben gehört dabei auch die Leitung des Karl-Weiß-Altenheims der Freireligiösen Gemeinde. Zugleich übernimmt sie den stellvertretenden Vorsitz der Freireligiösen Landesgemeinde Baden. Gesundheitlich bedingt muss sie diese Ämter 1977 aufgeben.19

Für ihr vielfältiges Wirken für öffentliche Belange erhält Lilli Gräber am 17. Mai 1988 das Bundesverdienstkreuz am Bande. Am 26. März 1990 zeichnet sie der Gemeinderat mit der Bürgermedaille in Gold aus.20

Lilli Gräber stirbt am 22. Juli 1992 im Karl-Weiß-Heim, wo sie ihre letzte Lebenszeit zubringt.21 Ihre Urne wird auf dem Friedrichsfelder Friedhof beigesetzt.22

Die 1987 eingeweihte Mehrzweckhalle Friedrichsfeld-Seckenheim, für deren Bau sich Lilli Gräber über 20 Jahre maßgeblich eingesetzt hatte, trägt seit 1999 den Namen Lilli-Gräber-Halle. Seit Sommer 2014 erinnert eine Informationstafel an die Namensgeberin.23


1 Vgl. StadtA MA, Meldekarten Lilli Gräber und Georg Gräber.
2 Vgl. StadtA MA, Sterberegister Mannheim-Stadt, 3_2009_00470_1949 (Todesurkunde Hedwig Marie Bertha Gräber geb. Hübner).
3 Vgl. ???
4 Vgl. StadtA MA, Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 3, Stellungnahme zur geplanten Verleihung des Bundesverdienstkreuzes (1988), undatiert. Vgl. auch MM 24.7.1992 (StadtA MA, S 1/242).
5 Vgl. Mannheim Illustriert 1978, Nr. 12, S. 10 (StadtA MA, S 1/242). Nach eigener Aussage wollte Lilli Gräber damals Kinderärztin werden.
6 Karl Herzberg musste sein Kaufhaus als Jude  Ende 1937 verkaufen. Vgl. Christiane Fritsche: Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt. Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim (Sonderveröffentlichung des Stadtarchivs Mannheim – ISG Bd. 39). Ubstadt-Weiher u.a. 2013, bes. S. 609-614.
7 Vgl. StadtA MA, Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 3, Stellungnahme zur geplanten Verleihung des Bundesverdienstkreuzes (1988), undatiert. Im Arbeitsbuch vom 7.5.1935 (StadtA MA, Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 2) ist als Lehrzeit 15.11.1934-1.9.1937 verzeichnet.
8 Laut Arbeitsbuch vom 7.5.1935 (StadtA MA, Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 2): 1.9.1937-14.9.1937 Kaufhaus K. Herzberg am Messplatz; 15.9.1937-31.3.1938 Th. Jennemann, P 7, 15; 1.4.1938-15.2.1940 Modehaus Neugebauer, O 3, 5-8.
9 Laut Arbeitsbuch vom 7.5.1935 (StadtA MA, Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 2): 15.2.1940-10.1.1943 Geschäftsstelle Mannheim; 11.1.1943-30.9.1943 Landesgeschäftsstelle Westmark; 1.10.1943-31.8.1944 Landesgeschäftsstelle Südwest Karlsruhe; seit 1.9.1944 Bezirksgeschäftsstelle Mannheim. Auf der Meldekarte (StadtA MA) ist die Abmeldung nach Saarbrücken am 10.1.1943 eingetragen. Vgl. auch StadtA MA, Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 3, Stellungnahme zur geplanten Verleihung des Bundesverdienstkreuzes (1988), undatiert.
10 Vgl. StadtA MA, Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 3, Stellungnahme zur geplanten Verleihung des Bundesverdienstkreuzes (1988), undatiert. Auf der Meldekarte (StadtA MA) ist die Wiederanmeldung in Mannheim auf 24.6.1944 von Friedrichsruh eingetragen.
11 Vgl. Mannheim Illustriert 1978, Nr. 12, S. 10 (StadtA MA, S 1/242).
12 Vgl. Mitgliedsbuch in: StadtA MA, Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 2.
13 Vgl. StadtA MA, Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 3, Stellungnahme zur geplanten Verleihung des Bundesverdienstkreuzes (1988), undatiert.
14 Vgl. Mitgliedsbuch in: StadtA MA, Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 2.
15 Vgl. Mitgliedsbücher in: StadtA MA, Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 2.
16 Vgl. StadtA MA, Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 3, Stellungnahme zur geplanten Verleihung des Bundesverdienstkreuzes (1988), undatiert. Hier auch zum Folgenden.
17 So u.a. die Würdigung ihrer Tätigkeit durch Oberbürgermeister Hans Reschke anlässlich ihres 50. Geburtstags 1968 (StadtA MA, S 1/242).
18 Vgl. StadtA MA, Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 3, Stellungnahme zur geplanten Verleihung des Bundesverdienstkreuzes (1988), undatiert.
19 Vgl. Allgemeine Zeitung Mannheim, 10.12.1963; MM 14./15.12.1963. Vgl. auch die Würdigung durch die Freireligiöse Gemeinde Mannheim „Lilli Gräber zum 65. Geburtstag“ in: Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 5.
20 Vgl. Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 3.
21 Vgl. Seckenheimer Anzeiger 22.8.1982 (Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 4).
22 Vgl. Nachlass Lilli Gräber, Zug. 44/2006, Nr. 4.
23 Vgl. Mannheimer Wochenblatt 5.6.2014.

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